2.
Genetische
Grundlagen
Das Angelman-Syndrom ist eine neurologische Störung, die zumeist durch
einen nachgewiesenen Gendefekt entsteht. Ein Großteil der Angelman-Fälle,
je nach Literatur zwischen 80% und 100%, können auf den Verlust einer
Genregion oder den Funktionsverlust eines Gens zurückgeführt
werden.
Das mittlerweile identifizierte Gen bzw. die betroffene Genregion liegt
auf dem langen Arm im proximalen Abschnitt des maternalen 15. Chromosoms
(vgl. Sarimski, 1997, S.267 und Williams et al., 2000, S10).
2.1 Der menschliche Chromosomensatz
Das menschliche Erbmaterial, die DNA (Desoxyribonucleid
acid)1, ist in den Chromosomen schleifenförmig
angeordnet. Im Normalfall besitzt der Mensch 23 Chromosomenpaare, also
insgesamt 46 Chromosomen. Neben 44 Chromosomen (den sog. Autosomen), die
nicht an der Geschlechtsbildung beteiligt sind, gibt es noch zwei Chromosomen
(Gonosomen oder Geschlechtschromosomen), die das Geschlecht bestimmen.
(Vgl. Pschyrembel, 1993, S.263f) Frauen haben zwei X-Geschlechtschromosomen
(46,XX)2,
Männer haben ein X- und ein Y-Geschlechtschromosom (46,XY)2.
Die 44 Autosomen werden jeweils paarweise nach Größe und Struktur
geordnet, gruppiert und von eins bis zweiundzwanzig durchnumeriert. Die
beiden Geschlechtschromosomen werden mit X und Y bzw. mit X und X bezeichnet.
(Vgl. Hirsch-Kauffmann et al., 1992, S.194f.) Jeweils ein Chromosom pro
Chromosomenpaar stammt von der Mutter (maternaler Ursprung, maternales
Chromosom), das andere vom Vater (paternaler Ursprung, paternales Chromosom)
(vgl. Celle, 2000, S.1). Die Eltern geben im Normalfall jeweils ein Chromosom
pro Chromosomenpaar (insgesamt also 23 Chromosomen) an Ihre Kinder weiter.
2.2 Die Chromosomenstruktur
Die Chromosomen haben in der Regel eine X-förmige Struktur.
Sie bestehen aus zwei gleichen DNA-Strängen (Schwesterchromatide),
die am Zentromer zusammen gehalten werden. Das Zentromer ist der Schnittpunkt
der beiden DNA-Stränge (Chromatiden). Nach der Lage des Zentromers,
wird das Chromosom strukturiert. Das Zentromer unterteilt das Chromosom
in zwei kurze p-Arme (petit - frz. für klein) und zwei lange
q-Arme. Die Lage des Zentromers kann entweder relativ mittig (metazentrisch),
außerhalb der Mitte (submetazentrisch) oder fast am Ende (akrozentrisch)
der DNA-Stränge liegen (Abb.1). (Vgl. Hirsch-Kauffmann
et al., 1992, S.193)
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Abbildung 1: Schematisierte
Chromosomen mit Lage des Zentromers
(Hirsch-Kauffmann et al., 1992, S.193) |
Die Gene, die einzelnen Erbeinheiten, sind in den Chromosomen linear
aneinandergereiht (vgl. Pschyrembel, 1993, S.263).
Die Lage von Genorten oder -regionen wird nach der Position relativ
zum Zentromer beschrieben. Dafür werden die Arme der Chromosomen in
Regionen und Banden unterteilt. Diese Regionen und Banden werden vom Zentromer
zum Ende der Arme aufsteigend durchnumeriert (Abb. 2).
Eine weitere Bezeichnung der Regionen wird aus der Position zum Zentromer
hergeleitet. Die Region in der Richtung des Zentromers wird als proximal,
die Region Richtung Ende des Chromosomenarms (Telomer) wird als distal
bezeichnet. (Vgl. Hirsch-Kauffmann et al., 1992, S.194f.)
Die Region 15q11-q13, in der das Angelman-Syndrom Gen liegt, befindet
sich also auf dem 15. Chromosom auf dem langen Arm in der Region 1, Bande
1-3.
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Abbildung 2: Schema des
Bandenmusters (prominentesten Bande der G-Bandierung) (rechts) und Aufnahme
des 15. Chromosoms (links)
(Hirsch-Kauffmann et al., 1992, S.194 und S.192) |
2.3 Die DNA
Die DNA besteht aus Phosphorsäure und Zuckermolekülen als Trägerstruktur
und jeweils einer angehängten Base als relevante Erbinformation. Diese
Base ist eine der vier möglichen Basen Adenin, Thymin, Cytosin oder
Guanin. Jeweils zwei Basen (Basenpaar) sind miteinander verbunden, so daß
die DNA eine Doppelstruktur bildet (Abb.3). Die Kombination
von den verschiedenen Basenpaaren bildet die einzelnen Gene. Die verschiedenen
Kombinationsmöglichkeiten der Basenpaare in den Genen sind der Bauplan
für verschiedene Aminosäuren, die aneinandergereiht ihrerseits
wieder unterschiedliche Proteine ergeben. Diese Proteine sind also Genprodukte
und bestimmen die Entstehung und den Entwicklungsverlauf des Menschen und
seiner Organe. Eine Änderung in der ursprünglichen Anordnung
der Basenpaaren bezeichnet man als Mutation. Sie verursacht eine fehlerhafte
oder ausfallende Proteinproduktion, die die Entstehung und Entwicklung
des Menschen empfindlich stören kann. (Vgl. Celle, 2000, S.1)
|
Abbildung 3: Schematisierte DNA-Doppelstruktur.
Die Zuckermoleküle wer-den von den Phosphatmolekülen zusam-mengehalten.
Sie bilden den nicht variablen Teil der DNA. Der variable Teil ist die
Sequenz der Basenpaare.
(Celle. 2000. S.1) |
2.4 Das genomische Imprinting
Das genomische Imprinting ist eine in der frühen Embryonalentwicklung
stattfindende Prägung einzelner Gene. Die Gene werden je nach elterlichem
Ursprung (väterlich oder mütterlich) aktiviert oder deaktiviert.
Die Gene, die dem genomischen Imprinting unterliegen, sind also nur auf
einem, vom elterlichen Ursprung abhängigen Chromosom aktiv. (Vgl.
Glossar - Med. Genetik, o. J., S.3)
Die ursprüngliche paternale oder maternale Herkunft (1. Generation
/ Großeltern) dieser vererbten Gene bei den Eltern (2. Generation),
und damit auch die Prägung, spielen allerdings keine Rolle bei der
Vererbung an die Kinder (3. Generation). Die Prägung des vererbten
Gens wird gelöscht und nach der elterlichen Herkunft neu geprägt.
Somit kann ein Gen in jeder Generation den Ursprung und damit die Prägung
wechseln. Die Prägung muß also wieder rückgängig gemacht
werden können. (Vgl. Laan et al.,1999, S.166)
Das Imprinting wird mittels Methylrest-Anlagerungen an bestimmte Basen
der DNA erreicht. Diesen Vorgang bezeichnet man als Methy-lierung (vgl.
Glossar - Med. Genetik, o. J., S.1f).
1 Im deutschen Sprachgebrauch
auch DNS (Desoxyribonukleinsäure) genannt. >>
2 (46,XX) bzw. (46,XY): die Zahl
gibt die Gesamtzahl der vorhanden Chromosomen an, die Buchstaben geben
die Kombination der Geschlechtschromosomen (Gonosomen) an. >>